Mitglieder der Logistics Hall of Fame haben sich über die Grenzen des eigenen Unternehmens hinaus um die Weiterentwicklung von Logistik und Supply Chain Management außergewöhnlich verdient und die Branche maßgeblich und nachhaltig vorangebracht. Ihre Leistungen für die Logistik sollen mit dieser ewigen Ruhmeshalle auch künftigen Generationen von Logistikern in Erinnerung gerufen werden.
Sehr geehrter Herr Bezos im fernen Amerika, sehr geehrte Frau Staatssekretärin Bär, liebe Mitglieder der Logistics Hall of Fame, sehr geehrte Damen und Herren,
wenn ich an Jeff Bezos und seine Schöpfung Amazon denke, so muss ich immer wieder an die Jahrtausendwende denken. Ich hatte seinerzeit gerade meine Softwarefirmen verkauft und stand als frisch gebackener Leiter eines Fraunhofer-Instituts mit eine Handvoll führender Vertreter des deutschen Handels auf der Bühne des Spielcasinos in Dortmund. Die Diskussion drehte sich damals – wie so oft im Jahr 2000 – um die »Zukunft des Internet-basierten Versandhandels«.
Es wurde seinerzeit sehr ernsthaft diskutiert, ob der E-Commerce-Anteil im Versandhandel wohl einmal 3% oder 5% übersteigen könnte. Eine Fehleinschätzung, die aus heutiger Sicht kaum mehr zu glauben ist. Seinen Kulminationspunkt fand die Diskussion damals übrigens, als mir ein Vorstand entgegenrief: „Hören Sie mal Herr ten Hompel, Sie werden doch nicht ernsthaft glauben, dass der Mensch jemals auf das Erlebnis verzichtet, in einem Katalog zu blättern“. Das Versandhaus, das er vertrat, war 7 Jahre später pleite – nachdem nochmals zig Millionen Kataloge gedruckt wurden und sich der Versandhandel längst ins Internet verlagert hatte.
Jeff Bezos war zu dieser Zeit längst unterwegs, den Internethandel und damit die Logistik zu revolutionieren. Aber wie hat alles angefangen?
Jeffrey Preston Bezos – genannt Jeff Bezos – wurde am 12. Januar 1964 in Albuquerque geboren. Er hat sich schon in Kindertagen für die Elektronik interessiert und es wird berichtet, dass ihn seine Mutter immer wieder zu Radio Shack fahren musste, um Transistoren und Chips zu kaufen.
(Das war bei mir übrigens ähnlich – nur, dass ich noch Radioröhren kaufte. Nun fällt mir gerade auf, dass ich mit der Aufnahme von Jeff Bezos nicht mehr das jüngst Mitglied der Hall of Fame bin. Sehr schade – in meinem Alter ist man nicht mehr sehr oft der Jüngste.)
Bezos´ Interesse für die Elektrotechnik war früh geweckt und so verwundert es nicht, dass er Anfang der achtziger Jahre ein Studium der Elektrotechnik und Informatik an der renommierten Princeton University begann, das er 1986 sehr erfolgreich abschloss. Er gehörte zur ersten Generation, die bereits in der Schule und im Studium mit einem Personal Computer groß wurden.
Nach dem Studium, arbeitete er kurz für die Mobilfunkgesellschaft Fitel und anschließend für die Vermögensverwaltungen »Bankers Trust« und »D. E. Shaw«. Schon damals erkannte er die Macht der Algorithmen und entwickelte Programme und Algorithmen für das Management von Investment- und Hedgefonds.
1994 war dann das Jahr, als alles begann: Der Internetboom beginnt und Jeff Bezos will dabei sein. Er macht sich selbstständig und gründet in Washington den »online bookstore« Amazon. Man muss sich vergegenwärtigen - der erste Web Browser (Mosaic) war nur ein Jahr zuvor erschienen; Google sollte erst 3 Jahre später gegründet werden.
Aus heutiger Sicht erscheint alles so folgerichtig. Aber 1994 wurde Amazon von vielen belächelt und fast alle schüttelten den Kopf. Kaum jemand erkannte das Potenzial, das in der Skalierung des Internethandels lag.
Jeff Bezos sagte damals – und er sagt es auch heute noch: »Es gibt noch so viel zu erfinden. Es wird noch so viel Neues passieren. Man macht sich keine Vorstellung, welchen Einfluss das Internet haben wird. »It’s still day one«! Ein Zitat, das dem Amazon-Headquarter-Gebäude den Namen »Day One North« gab.
Wie wir alle wissen, schrieb Jeff Bezos Geschichte und Amazon ist heute mit über 550.000 Mitarbeitern eines der größten Unternehmen der Welt. Alleine unter amazon.de sind weit über 200 Millionen Artikel gelistet – Jeff Bezos hat damit sein Ziel erreicht: Amazon ist the „Everything Store“! Und der Wert der Marke Amazon hat längst Klassiker wie IBM und Mac Donalds überholt.
Neben dem Tatendrang, die Welt immer wieder neu zu erfinden, kennzeichnet die Arbeit von Jeff Bezos, dass er einzig den bedingungslosen Nutzen für den Nutzer in den Mittelpunkt seiner Arbeit stellt. (Im Unterschied zur klassischen „Kundenorientierung“ beinhaltet die „bedingungslose Kundenorientierung“ den Willen zur Kannibalisierung des eigenen Geschäfts.)
Er hat damit Dinge in unser tägliches Leben gebracht, die uns innerhalb kürzester Zeit ganz normal erschienen – für ihn wahrscheinlich das größte Kompliment, was man ihm machen kann:
Wenn es um den Kundennutzen geht, ist Jeff Bezos gnadenlos – auch gegenüber seinem eigenen Geschäft und gerade dadurch der Konkurrenz immer einen Schritt voraus. So gibt er seinen Marketplace frei für die Konkurrenz und zeigt auch noch die besten Konkurrenzangebote an – undenkbar im klassischen Merkantilismus. Er sagt, die Kunden wollen Auswahl, also geben wir ihnen die Auswahl – abgesehen davon verdient er so auch noch, wenn die Konkurrenz verkauft.
Von vornherein hat er die Logistik als integrierten Teil seines Geschäftes verstanden und konsequent ausgebaut. Vor Amazon war es eben nicht normal, dass man den Lagerbestand aller Artikel online und in Echtzeit angezeigt bekam – heute erscheint uns auch das selbstverständlich. Er baut sein Distributionsnetz konsequent aus und mit »Amazon Prime NOW« wird uns bald die Belieferung in ein oder zwei Stunden ganz vertraut sein – wenn der Kunde es will.
Es gibt kaum einen Ort, an dem der Wandel, den Jeff Bezos auslöste, heute so spürbar ist, wie auf der Fläche der Westfalenhütte in Dortmund. Als vor 150 Jahren die Hütte am Borsigplatz, unweit des Dortmunder Hafens in Betrieb ging, erlebten die Menschen gerade die Auswirkungen der ersten industriellen Revolution und den Aufbau der Montanindustrie. 2001 wurden Hochöfen und Walzwerke stillgelegt und an Jiangsu Shagang nach China verkauft. Nun geht in dieser Woche am gleichen Ort Amazons jüngstes Distributionszentrum in Betrieb. Das ist wirklich moderner Strukturwandel. Eine Geschichte, wie sie an vielen Orten dieser Welt zurzeit geschrieben wird.
Sicher wird Jeff Bezos das ferne Dortmund nicht auf seinem persönlichen Radar haben. Aber ohne ihn würde die ehemalige Westfalenhütte heute wohl nicht als Logistikfläche genutzt. Seine Schöpfung Amazon ist zum Synonym eines weltumspannenden Internethandels geworden und er reiht sich damit ein in die Folge der großen industriellen Visionäre, wie Daimler, Siemens oder Edison.
Auf die Frage, wie Jeff Bezos das alles auf die Beine gestellt hat, gibt es eine ganz einfache Antwort: Er hat es einfach getan! Seinem Motto folgend, »es ist einfacher, die Zukunft zu erfinden, als sie vorauszusehen«, hat er den Internethandel, die Medienwelt und vieles mehr neu erfunden. Jeff Bezos hat Dinge zu Ende gedacht, ohne bislang ein Ende zu finden.
Dies gilt für die moderne Informationslogistik in besonderer Weise. Er hat das logistische Paradigma der richtigen Ware zur richtigen Zeit am richtigen Ort auf die Informatik übertragen und wie kein Zweiter Daten und Dinge individuell und grenzenlos miteinander verbunden. In dieser Kombination von Software und Logistik liegt der Hase im Pfeffer: Jeff Bezos hat seine Software über Jahre hinweg weiterentwickelt und synergetisch mit der Logistik verbunden – ohne sein Ziel aus den Augen zu verlieren, den Internethandel zu erfinden – Manchmal auch, ohne nach links und rechts zu schauen. Dabei hat er die gleiche Erfahrung wie viele Mitglieder der Logistics Hall of Fame gemacht. Weil ihre Erfindungen und Geschäftskonzepte als Bedrohung von bewährten Lösungen galten, wurden sie auch von vielen Zeitgenossen angefeindet und bekämpft.
Jüngst kritisierte ihn auch Donald Trump per Twitter. Jeff Bezos twitterte zurück, er freue sich darauf, Trump in den Weltraum zu schießen. Die Rakete dafür wäre jedenfalls in seiner Firma Blue Origin vorhanden. (Dafür wäre ihm Applaus zweifelsohne gewiss.)
Jeff Bezos lieferte eine Blaupause für eine neue Logistik 4.0. Es ist wie vor 20 Jahren, als er sich mit Amazon aufmachte, die Möglichkeiten des Internet zu erschließen. Heute ist es das Internet der Dinge, dass mit Narrow Band IoT und Ultra-Low-Power-Prozessoren wieder alles bereithält, um eine neue Welt zu erfinden und wieder schütteln viele Menschen den Kopf, die sich eigentlich schon längst auf den Weg in eine neue Welt machen sollten.
Wir leben in revolutionären Zeiten und Jeff Bezos wird heute als »Revolutionär von E-Commerce und Logistik« in die »Logistics Hall of Fame« aufgenommen. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, die Hall of Fame ist kein schlechter Ort für Revolutionäre in revolutionären Zeiten.
Ich freue mich und es ist mir eine Ehre hier und heute die Aufnahme von Jeffrey Preston Bezos in die Logistics Hall of Fame zu erklären. Herzlichen Glückwunsch!
Die Logistics Hall of Fame® ehrt international Persönlichkeiten, die sich um die Weiterentwicklung von Logistik und Supply Chain Management außergewöhnlich verdient gemacht haben. Darüber hinaus verfolgt sie den Zweck, herausragende Leistungen in der Logistik zu dokumentieren und Innovationen anzustoßen. Sie will damit die Innovationskraft der Logistik in die Öffentlichkeit tragen und zur Wettbewerbsfähigkeit und zum Ansehen der Logistikbranche beitragen. Die Schirmherrschaft hat Dr. Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr, inne.